Steckbrief Achterbahnhersteller - Vol2.: B&M
Im zweiten Teil unserer Reihe erfahrt Ihr alles Wissenswerte über Bolliger & Mabillard.
Perfektion im Achterbahnbau? Da fällt jedem Fan sofort ein Name ein: Bolliger & Mabillard. Besser bekannt als B&M. Die Großachterbahnen des Herstellers sind Hauptattraktionen in jedem Freizeitpark und lassen jedem Coaster-Liebhaber das Herz ein bisschen höher schlagen, wenn ein Zug mit dem markanten Rauschen über die Strecke gleitet.
Über 80 Achterbahnen stammen bisher aus der Feder der beiden Schweizer Ingenieure und ihren Mitarbeitern. Darunter bekannte Bahnen wie Nemesis in Alton Towers, Tatsu in Six Flags Magic Mountain oder Montu und SheiKra in Busch Gardens Tampa, die aus der Branche nicht mehr wegzudenken sind.
Terrain-Inverter Nemesis in Alton Towers
Überwiegend in den USA fanden Bolliger und Mabillard Abnehmer für ihre 8 unterschiedlichen Achterbahntypen. Dabei stellte man seltener Rekorde auf und brachte nur wenige, aber umso bedeutendere Neuentwicklungen hervor. Stattdessen setzt man auf bewährte Qualität, wiederkehrende Fahrelemente und schlichtes Design, was der Firma schon oft den Titel des „Rolls Royce unter den Achterbahnherstellern“ eingebracht hat.
Die Coastertypen unterscheiden sich technisch daher auch fast nur in Sitzposition und Bauweise der Züge. Dass auch die Streckenlayouts immer wieder ähnlich sind, wird von Kritikern häufig bemängelt.
"Standardelemente" bei Kraken
Die Historie
Viele Firmen gibt es nicht, die auf dem Weltmarkt in der Achterbahnindustrie tätig sind. Interessant ist dabei vor allem ein Blick in die Vergangenheit, der eine regelrechte Verkettung fast aller marktführenden Unternehmen der Branche zeigt.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass die beiden aktuell bekanntesten und erfolgreichsten Firmen B&M und Intamin eine gemeinsame Vergangenheit haben.
Das Schweizer Stahlbauunternehmen Giovanola (gegründet bereits 1888)war neben dem Seilbahn- auch im Achterbahngeschäft tätig. Intamin wurde 1967 gegründet und arbeitete von Beginn an mit Giovanola zusammen. So war Giovanola vor allem für die Fertigung von Achterbahnkomponenten zuständig.
Sowohl Walter Bolliger als auch Claude Mabillard waren in den 70er Jahren Ingenieure bei Giovanola und unter anderem an der Entwicklung des ersten Stand-Up Coasters (Shockwave, Six Flags Magic Mountain) der Firma beteiligt.
B&M erste Achterbahn - Shockwave
Als Giovanola 1988 interne Strukturen änderte, verließen die beiden Mitarbeiter das Unternehmen und machten sich als „Bolliger & Mabillard“ mit dem Grundgedanken aus dem Geschäft mit den Fahrgeschäften auszusteigen selbstständig. Glücklicherweise wendete sich die Six Flags Gruppe an die neue Firma mit dem Auftrag weitere Achterbahnen zu bauen, sodass B&M in diese Sparte zurückkehrte und die Entwicklungen fortsetzte.
Als kleines eigenständiges Ingenieurbüro nutzte man weiterhin die Kontakte zu Giovanola. Die Stahlbaufirma belieferte somit neben seinem eigenen Auftritt als Achterbahnhersteller (seit 1998) somit sowohl Bolliger & Mabillard als auch Intamin mit Achterbahnkomponenten.
Im Jahr 2005 meldete Giovanola Konkurs an, womit es keine Verbindung mehr zwischen B&M Intamin gab, sofern man von der Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Stengel absieht, welches schon für etliche Achterbahnhersteller Planungsarbeiten geleistet hat.
Die „B&M-Schiene“
Die gesamte Entwicklung wird auch an den Produkten selbst offensichtlich. Die beiden Ingenieure entwickelten die für B&M heute typische Schienenform. Seine Premiere feierte es mit dem ersten Stand Up Coastern von Intamin, weshalb diese aus heutiger Perspektive häufig mit B&M Bahnen verwechselt werden. Nachdem Bolliger und Mabillard Giovanola verließen benutzten sie dieses Profil für ihre eigenen Achterbahnen. Auf Seiten Giovanolas tauchte es erst 1994 Im Stand-Up Coaster Shockwave in Draton Manor wieder auf und wurde nur noch bei den Bahnen Titan (Six Flags Over Texas), Goliath (Six Flags Magic Mountain) sowie dem Inverter Anaconda (Gold Reef City) verwendet.
Giovanolas Shockwave wird schnell als B&M Bahn eingestuft
Goliath in Six Flags Magic Mountain
Anaconda - Giovanolas einziger Inverter und eine der wenigen Achterbahnen Südafrikas
Die Besonderheit dieser „B&M-Schiene“ liegt in der Kastenförmigen „Backbone“, die die Rohre trägt auf denen die Fahrwerke laufen. Sie wird nicht, wie bei anderen Herstellern üblich, aus einem weiteren Rohr gebogen sondern aus Blechen geschweißt, die durch ihre Größe Drehungen und Kurven angepasst sind. Ein besonderer Vorteil ist hierbei, dass die Stärke der Backbone der Belastung angepasst werden kann. Dieses Design ist verantwortlich für die nahezu perfekte Laufruhe.
Ihre Form sorgt als Nebeneffekt für das charakteristische Rauschen der B&M Coaster. Für manche Auslieferungen wird der Hohlraum der Backbone, der wie ein Resonanzkörper funktioniert, mit Sand gefüllt um für den nötigen Lärmschutz zu sorgen.
Die Struktur einer typischen B&M Schiene
Nach Belastung angepasste Backbone bei Silver Star
Die B&M Züge
Weiterhin charakteristisch für Achterbahnen von Bolliger und Mabillard sind die Züge, welche nie weniger als 4 Sitze pro Reihe aufweisen. Üblicherweise werden lange Züge mit 6 bis 9 Sitzreihen ausgeliefert, was eine hohe Kapazität schafft. Einzig die Dive Coaster machen hier eine Ausnahme. Hierbei fahren bei Griffon in Busch Gardens Williamsburg sogar Züge mit 10 Sitzen pro Reihe. In diesem Fall kommt der Zug auch mit nur 3 Sitzreihen aus. Oblivion im britischen Alton Towers bietet dagegen bei nur zwei Sitzreihen 8 Sitzplätze nebeneinander.
"Herkömmlicher" B&M Zug von Kumba
Griffons riesiger Zug stürzt sich in den Abgrund
Alle B&M Modelle verfügen über fast identische Rückhalte Systeme, bei denen ein massiver aber ergonomischer Schulterbügel zum Einsatz kommt. Ausnahmen sind die Hypercoaster, bei denen der Fahrgast mit einem T-förmigen Bügel nur an der Hüfte gesichert wird, sowie die Flying Coaster, die, Dank der Sitzposition, ein weicheres aber umfassenderes Bügelsystem besitzen. Seit (erstmals bei Raptor im Gardaland) kommen auch bei normaler Sitzposition die etwas weicheren „Softstraps“ zum Einsatz.
B&M's Rückhaltesystem am Beispiel Montus
Weitere Besonderheiten
Typisch vor allem für die älteren Achterbahnen von B&M sind sogenannte Pre-Drops. Sie sind Abfahrten von nur ca. 1 Meter Höhe, die den Übergang von Lift zu First Drop unterbrechen. Entwickelt wurden sie um die Liftkette zu entlasten, da der Zug nicht sofort mit vollem Gewicht durch die Schwerkraft aus der Kette gezogen wird, wenn der Schwerpunkt den Scheitelpunkt des Lifts passiert hat. Stattdessen behält er noch eine langsamere Geschwindigkeit bist er die Kette vollständig verlassen hat.
Üblich sind diese Pre-Drops bei B&M heute nur noch, wenn der First Drop in einer Kurve verläuft.
Mit und ohne Pre-Drop. Shambahla und Dragon Kahn bieten den besten Vergleich
Einen besonders tollen optischen Effekt bietet das sogenannte „Splash Down“ Element. Hierbei verläuft die Achterbahnschiene in einer Betonrinne, die in ein Wasserbecken eingelassen ist. An den Seiten des Zuges tauchen hierbei gewinkelte Rohre in die Wasseroberfläche ein und erzeugen durch die Vorwärtsbewegung eine beachtliche Fontäne hinter dem Zug.
Dieses Prinzip blieb bisher ausschließlich B&M Coastern vorbehalten und wurde bei Dive- und Megacoastern eingesetzt. Beispiele sind KRAKE im Heide Park und Diamondback in Kings Island.
Krake im Heidepark sorgt für eine große Fontäne
B&M Hyper mit Splash - Diamondback
Auf speziellen Wunsch des Kunden baute B&M ihren einzigen Launch Coaster The Incredible Hulk in Universal’s Islands of Adventure. Hierbei wird der Zug über einen aufwärts führenden Reibradlaunch direkt in die erste Inversion hinein beschleunigt.
Hulk katapultiert seine Fahrgäste direkt in eine Zero-G-Roll
B&M's Achterbahntypen
Sit Down Coaster
Ein B&M Sit Down Coaster ist das, was man unter einer „herkömmlichen“ Achterbahn verstehen könnte. In sitzender Position oberhalb der Schiene und durch Schulterbügel gesichert erleben die Passagiere eine mit vielen Richtungswechseln und vor allem Inversionen gespickte Fahrt.
Als Vertreter dieser Klasse steht Dragon Kahn mit 8 Inversionen in den Top 10 weltweit und wird nur noch von Intamins „10 Inversion Coaster“ getoppt.
Dragon Kahn durchquert eine seiner 8 Inversionen
Inverted Coaster
Bolliger und Mabillard sind die Erfinder des Inverted Coaster. 1988 eröffnete mit Batman The Ride in Six Flags Great America die erste Achterbahn, bei der sich die Passagiere statt über der Schiene unter der Schiene befanden. Häufig denkt man bei einer Fahrt mit einem „Inverter“, man msse die Füße anziehen um nicht mit der vorbeirauschenden Landschaft zu kollidieren. Die B&M Inverter sind bekannt für starke Kräfte in ihren engen Kurven und zahlreichen Inversionen und gelten als der intensivste Typ der Firma.
Batman The Ride in seinen jüngeren Jahren
Thorpe Parks Nemesis Inferno
Hyper Coaster
Mit seinen Hyper Coastern geht B&M hoch hinaus. Mit 93,3 Metern ist Leviathan in Canada‘s Wonderland, die (zweit-)neuste und größte Auslieferung dieses Typs, die siebt höchste Achterbahn der Welt. Wie auch 9 der 10 existierenden Hypercoaster besitzt er ein typisches „Out And Back“-Layout mit vielen Airtimehügeln und mehreren Horseshoes.
Bei diesem Coastertyp werden entweder Züge mit 4er Reihen, oder aber Züge, auf deren Wagen die 4 Sitze in V-Form angeordnet sind, eigesetzt.
Der 93 Meter hohe First Drop des Leviathan
Im selben Park: Behemoth mit der V-förmigen Sitzanordnung
Stand Up Coaster
Wie der Name schon verrät, bezwingt man diese Achterbahnen in stehender Position auf einer Art Fahrradsattel. Streckenverlauf und Design unterscheiden sich kaum von denen eines Sit Down Coasters.
Stehend durch den Looping in Mantis
Floorless Coaster
Die Layouts und Bauweise eines Floorless Coasters unterscheiden sich kaum von denen eines Sit Down. Einzig die Züge machen hier den entscheidenden Unterschied. Der Fahrgast hat hier keinen Boden unter den Füßen und die Füße hängen frei über der Schiene. Ein populäres Beispiel bietet Superman im Parque Warner Madrid oder die kompakte Variante Daemonen im Tivoli Kopenhagen
Superman vor dem spanischen Abendhimmel
Der kleine Daemonen in der Zero-G-Roll
Dive Coaster
Der Dive Coaster kann als Weiterentwicklung des Florlesscoasters angesehen werden. Wie bereits erwähnt sind die Züge hier lediglich breiter und kürzer. Die geringe Länge des Zuges ermöglicht das namensgebende Abtauchen in nahezu senkrechte Abfahrten. Die breiten Sitzreihen sorgen im Gegenzug jedoch dafür, dass der Zug nur weniger enge Kurven fahren kann.
Auffällig ist auch, dass die Schienen der „Diver“ deutlich breiter sind, als die aller anderen Typen.
SheiKra stürzt in die Tiefe
Flying Coaster
Zwar wagten sich Vekoma und Zamperla schon vor B&M an Achterbahnen, bei denen der Fahrgast mit dem Kopf voraus über oder unter der Schiene liegend befindet, jedoch liegen ihre Bahnen nach in Sachen Qualität doch deutlich hinter denen der Schweizer Ingenieure, die erst 2002 mit Air in Alton Towers die erste Anlage dieses Typs umsetzten.
Flying Coaster vermitteln dem Fahrgast das Gefühl des Fliegens, da der Streckenvarlauf während der Fahrt nicht vorherzusehen ist. Zudem ermöglicht die liegende Position vielseitige neue Elemente. Besonders sticht hier der sogenannte Prezelloop hervor, wie er beispielsweise bei Manta in Sea World Orlando gebaut wurde.
Lie-to-Fly - Air bringt seine Mitfahrer das Fliegen bei
Manta bei der Einfahrt in den Prezel Loop
Wing Coaster
Die neuste Innovation, die mit Raptor im Gardaland 2010 das erste Mal ausgeliefert wurde, aus dem Hause B&M nennt sich Wing Coaster. Intamin präsentierte zwar schon früher mit Furius Baco die erste Achterbahn, bei der sich die Sitze unbeweglich rechts und links neben der Schiene befinden. Dieser zeigte, welches Potential in diesem Achterbahntyp steckt, fand aber vermutlich durch seine mangelhaften Fahreigenschaften seither keinen Nachfolger aus selben Hause.
B&M Wingcoaster schlug jedoch explosionsartig auf dem Achterbahnmarkt ein, sodass es in den letzten 2 Jahren schon 6 Auslieferungen gab. Hervorzuheben ist hierbei wohl The Swarm im Thorpe Park, dessen First Drop die Form eines Dive Loops hat. Aktuell in Bau befindet sich Gatekeeper in Cedar Point. Dieser Wing Coaster wird mit 6 Inversionen aufwarten.
Raptor - der erste B&M Wing Coaster
The Swarm stürzt in seinen First Drop hinein.
Gatekeeper in seiner ganzen Pracht
Böse Zungen mögen behaupten, man kenne alle B&M Achterbahnen, wenn man eine gefahren ist. Doch schaut man sich die obige Liste an, so zeigt sich doch heute eine große Vielfalt in der Produktpalette der Edelschmiede. Und, seien wir mal ehrlich, wie oft fährt man schon eine B&M Bahn nach der anderen, wenn man nicht gerade in den USA unterwegs ist? Gerade unsere Gefilde sind mit den Schweizer Großachterbahnen noch schwach bestückt. So finden sich in Deutschland lediglich drei davon, die zudem noch unterschiedlicher nicht sein könnten.
Dass die unumstrittene Qualität jeder einzelnen B&M Bahn gewährleistet ist, fordert letztendlich auch eine deutliche Ähnlichkeit der einzelnen Produkte, was keines Falls als Nachteil gewertet werden sollte. Denn bei welcher anderen Firma der Branche ist wirklich jede Bahn nahezu perfekt?
TEIL 1
Quellen und Bilder
Offizielle Homepage B&M
Wikipedia
Roller Coaster Data Base
Cedar Point